Grenzerfahrungen mit Nicaragua

Kikerikiiii & Wauwau! Das ist die Musik in der Nacht in Liberia. So ab 4 Uhr kräht nicht weit von mir ein Hahn. Es ist aber nicht das Krähen eines großen, gut aussehenden Hahns, sondern es klingt eher wie ein Klingelton. Aber es ist laut genug, Hunde auf den Plan zu rufen. Einer bellt, 20 antworten. Dann ist es wieder ruhig. Bis dann der Hahn wieder kräht. 

Um 5:40 schellt dann mein Wecker. Klingelton: seidenweich!

Ich mache mir Kaffee, schnappe meine Äpfel und setze mich auf die Terrasse. Dann, so um halb sieben, gehe ich los. 


Ich bin früh unterwegs, weil ich gestern abend 4 Leute gefragt habe, wo die Bushaltestelle / das Terminal von Tica-Bus ist, und habe 3 Antworten bekommen. Deshalb laufe ich heute früh 4 Terminals (inclusive dem großen, zentralen) ab. Es kristallisiert sich heraus: die Haltestelle vor dem Taco Bell scheint die richtige zu sein.


Auf dem Weg sehe ich einen Mann, der sich über eine Pfütze bückt. Er greift rein und wäscht sich das Gesicht. Furchtbar. 

Dann wartet er, bückt sich erneut, und trinkt.

So etwas sollte es noch nicht mal hier geben. Als ich näher komme, nehme ich etwas Geld aus meinem Portemonnaie und drücke es ihm in die Hand. Armer Kerl!








Wenig später bin ich am Taco Bell. Außer mir ist keiner da. Doof.


Ich warte.




7:30 fährt der Bus, man sollte 30 Minuten vorher da sein. Kurz vor 7 war ich hier.


Und warte.


Es kommen Busse. Die kleinen, alten, lokalen Busse ignoriere ich. Da steht auch immer ein anderes Ziel vorne drauf. 


Aber es kommen auch große, modernere Reisebusse. Ich frage sie alle. Und sie weisen mich alle ab. 

7:30 - ich warte


7:31 - die Sonne ist draußen. Kein Schatten mehr an der Haltestelle.


8:00 - ich warte


Ich erwische mich dabei, wie ich eine statistische Erhebung der vorbeifahrenden Automarken mache (ich habe viel Zeit): Toyota ist bei Weitem führend, gefolgt von anderen japanischen Marken. Ein paar Renaults oder Peugeots, wenige Dodge. Noch weniger Koreaner oder Chinesen. Deutsche Autos gibt es überhaupt nicht. Wieder was gelernt.

8:30 - ich warte

Vor mir, auf der Straße, ist so ein junger Typ, der versucht, mit dem Säubern der Scheiben der wartenden Autos etwas Geld zu machen. Er ist freundlich und die Autofahrer gehen auch freundlich mit ihm um. In Deutschland sind die Leute oft sehr aggressiv.


Es kommt wieder ein Reisebus, und der fährt auch noch nach Penas Blancas (das ist der Grenzübergang) aber der Fahrer schwört Stein und Bein, dass er nicht Tica-Bus ist.

Der Scheibenreiniger bekommt das mit und sagt irgendwas. Ich erkläre ihm, dass ich nach Nicaragua will. 

Er sagt wieder was. Irgendwas mit once y media, also halb 12. 

no, no, no! Siete y media! Halb acht!

Ich zeige ihm mein Ticket.




Er erklärt: siete y media a San Jose! Once y media aqui! (Der fährt um 7:30 in San Jose los und ist um 11:30 hier!)

Ich schaue auf das Ticket!

Sch…..

Der Bus fährt von San Jose nach Managua. Also Langstrecke. Und ich habe den Teil Liberia nach Rivas gebucht, also nur die Teilstrecke. 

Ich werde also nicht um 11:15, wie es auf dem Ticket steht, in Rivas ankommen, sondern dann erst hier losfahren.

Sch….

Haben die jetzt das Ticket unglücklich ausgestellt oder bin ich zu doo…?

Lassen wir das. 


9:00 - Ich bin in den McDonald gegenüber gegangen, habe mir ein Frühstück gekauft und in dem Wlan Daggi angerufen. 

Sie meint (das muss Liebe sein), dass die das Ticket unklar ausgestellt haben. Allerdings: je öfter ich mir das Ticket ansehe, um so mehr glaube ich, dass Daggi Unrecht hat.


Aber Recht und Unrecht sind überflüssige Denkansätze wenn…



Wenn auch der Bus um 11:15 nicht kommt. 


Ich war um 10:30 an der Haltestelle, zum Glück im Schatten.


Und wartete. Hier lernte ich dann Yann kennen. Yann ist der Scheibenreiniger von vorhin. 




Ich erfahre, dass er Bau(hilfs)arbeiter aus Venezuela ist. Er hat Frau und 4 Kinder, seine älteste Tochter ist bildhübsch. Er ist 41 und hat sich auf den Weg ins gelobte Land (USA) gemacht. Kolumbien, Panama und einen Teil von CR hat er schon geschafft, jetzt will er noch Nicaragua, Honduras, Guatemala und ganz Mexico durchqueren. 

Per Anhalter oder per Bus, wenn er Geld hat.

In Venezuela verdient er, wenn er einen Job hat, 20$ die Woche. Mit viel Glück. 

Er will später gerne wieder nach Nicaragua zurück, seine Familie und seine Freunde sind da. 

Ein hartes Schicksal und eine unglaubliche Motivation.


Aber mein Schicksal ist für mich auch doof. Um halb eins gebe ich auf und gehe zum zentralen Terminal. Dort setze ich mich in  einen Bus nach Penas Blancas. Ich will versuchen, hier alleine über die Grenze zu kommen und irgendwie eine Transportmöglichkeit nach Rivas zu kriegen. Abenteuerlich!


Penas Blancas ist nur der Grenzübergang von Costa Rica nach Nicaragua. Es ist der nördlichste Ort in Costa Rica und die Grenze ist komplett mit Stacheldraht abgesperrt. Der Reiseführer weiß, dass der Grenzübertritt hier zwischen 2 und 7 Stunden dauern kann. Südamerika. 


Der Bus ist alt und eng und schmutzig. Aber man kann sich halt nichts aussuchen. 






Wir fahren nach La Paz und weiter auf der Interamerikana Norte in Richtung Grenze. Gut 8 km vor der Grenze reihen sich LKW um LKW in einer endlosen Schlange in der erbarmungslosen Hitze und warten auf Abfertigung. Wir können, solange der Gegenverkehr es zulässt, dran vorbei. 




Und dann sind wir an der Grenze. An einem schmutzigen Platz steigen wir aus. Sofort wächst quasi aus dem Boden ein Mann und will Geld tauschen. 

Nein, jetzt nicht.








Ich muss erst eine Ausreisegebühr bezahlen. Ok. Anstellen, warten. Die Frau, die das Geld kassiert, spricht nebenbei mit einer Freundin über einen Videochat. Die Freundin tanzt dabei. 


Als ich das Geld los bin suche ich die Migration. Und finde sie auch. Warten……Stempel! Ich bin ausgereist. Dann laufe ich 7-800 m bis Nicaragua. 










Eine Wache hält mich auf: Covid-Impfung nachweisen. Ich bin vorbereitet und darf durch. Eine weitere Wache: noch mal Covid. Dieses Mal bekomme ich einen Zettel. Wahrscheinlich steht „bestanden“ drauf. Weiter zu Einreise. Am Eingang muss ich 1 $ zahlen. US$! 

Ok, weiter. 


Am Schalter warte ich. Dann darf ich nach vorne.  Pass abgeben, noch mal 13$. 

Amerikanisches Geld ist hier beliebt. Wo ich hinwill? Wo ich wohne? Ich kann alles beantworten.

Stempel.


Jetzt muss ich zum Zoll. Mein Gepäck wird durchleuchtet, aber ich bin nicht sicher, ob da überhaupt jemand hingeschaut hat. 

Ich bin in Nicaragua. Das Gelände ist noch ziemlich groß und ich laufe nich ein Stück. 

Und da stehen schon mehrere Chicken-Busse.

Eng, hart, klapperig und ziemlich voll. Alle reden laut durcheinander. DAS ist für mich „pura vida“








Rückblickend war die Idee mit dem Tica-Bus Quatsch. Das war so ein Komfortzonen-Ding. Der Grenzübertritt zu Fuß war sehr easy. Das Busticket bei Tica hat 32€ gekostet. Die beiden Tickets heute 6 €. Man kann sich das Leben auch schwer machen…


„Nach Gefühl“ und nach ungefährer Orientierung mit Google steige ich aus. Ich bin direkt an einem großen, bunten Markt. Viele Stände, Fahrradrikschas, alles bunt und lebhaft. Das ist was für mich. Der Weg ist einfach. 600m geradeaus, davon die Hälfte durch den Markt. Dann rechts und schon stehe ich vor dem Hostel. 










Die Betreiber sind ein holländisch-nicaraguanisches Ehepaar. Sehr nett und hilfsbereit. Es gibt auch einen kleinen Hund, so eine Fußhupe, aber er ist so aufgeregt wie freundlich. 


Das Zimmer ist klein und ohne Airco, aber das ist ok. 

Jetzt heißt es erst mal: die Stadt erkunden und Cash holen.

Die Stadt ist niedlich. Kleine Straßen mit Shops und ein großer Park, rundherum Kneipen und Restaurants. Total charmant hier. Klein, aber gemütlich. Irgendwie fängt Nicaragua an, mir zu gefallen.












Einziger Wermutstropfen: der ATM gibt mir auf die DKB-Karte kein Geld. 

Shit.

Ich habe noch ein paar Dollars (50) und 280 Cordobas, die ich an der Grenze getauscht hatte. 280 Cordobas sind knapp 7€. Und das Hostel muss ich auch noch bezahlen…


Nicaragua mit seinen 6.500.000 Einwohnern liegt, wie alle mittelamerikanischen Länder, zwischen Pazifik und Atlantik. Mit Ortega an der Spitze ist es leider auch einer der Schurkenstaaten in dieser Region. Die Landschaft ist von vielen Vulkanen geprägt. Das Land gehört zu den ärmsten in Mittelamerika. Es gibt viele kleine Landwirtschaftsbetriebe, die von Bananen, Baumwolle, Kaffee, Rinderzucht, Rum, Tabak und Zucker leben. 

Das Land leidet unter Naturkatastrophen, aber noch mehr unter Machtmissbrauch der führenden Schichten und massiver Korruption. 

Die Geschichte berichtet von der Kolonialisierung, dem Reich von Somoza, der dann von den Sandinisten aus dem Land gejagt wurde, die ihrerseits auch ein Stück vom Kuchen wollten. Heute gehört das Land Herrn Ortega beziehungsweise dessen Frau, die die Staatsgeschäfte führt, weil er krank ist. Unter seiner Herrschaft sind die Wahlen wenig demokratisch und ähnlich wie Putin oder Xi will er die Macht freiwillig nicht abgeben und ändert die Verfassung. 












Rivas ist eine kleine (26000 Einwohner) Stadt an der Panamerikana. Die Stadt ist eigentlich nicht mehr als ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt auf dem Weg nach San Juan del Sur, zum Lago de Omnepete oder nach Granada und Managua. 

Kommentare

Kommentar veröffentlichen